Da kommt man hochmotiviert aus dem Seminar nach hause, will das Gelernte in die Tat umsetzen und was passiert? Nichts! Nach den ersten zaghaften Gehversuchen, kehrt man zur gewohnten Tagesordnung zurĂŒck. Was bleibt, ist âmanchmal- das schlechte Gewissen. Woran liegt das eigentlich?
Vielleicht liefert das folgende Modell eine mögliche ErklÀrung. Demnach erfolgt Lernen in vier Stufen:
Stufe 1: Unbewusste Inkompetenz
Manche behaupten, dies sei die Insel der Seligen: Ich weiĂ gar nicht, dass ich nichts weiĂ đ
Beispiel: Ich fahre mit meiner kleinen Tochter mit dem Auto zur Oma. Das Kind sitzt hinten im Kindersitz und interessiert sich null Komma Josef dafĂŒr, was der Papa da vorne macht oder wie das Auto fĂ€hrt. Irgendwie sind wir dann irgendwann bei Oma.
Stufe 2: Bewusste Inkompetenz
Wir haben eine Ahnung davon, dass wir etwas nicht wissen oder können.
Im Beispiel eben fragt mich meine Tochter auf dem Beifahrersitz, was das fĂŒr komische Anzeigen vorne sind, zu was die Pedale dienen und warum ich mit der rechten Hand mit dem KnĂŒppel da herumrĂŒhre.
Stufe 3: Bewusste Kompetenz
Hier hat meine Tochter gerade den FĂŒhrerschein bekommen. Sie hat die Lizenz zum fahren, weiĂ auch wie es geht, kann es aber immer noch nicht so richtig. Nach jedem Einsteigen muss sie ĂŒberlegen, was als nĂ€chstes zu tun ist und vor allem in welcher Reihenfolge. Das ist manchmal schon recht mĂŒhselig!
Stufe 4: Unbewusste Kompetenz
Meine Tochter weiĂ in dieser Stufe gar nicht mehr, wie sie „das Fahren“ gemacht hat. Wenn Sie heute schon Auto gefahren sind: Beschreiben Sie doch mal ganz genau, wie Sie das gemacht haben. Vorsicht! Nichts vergessen und bitte auch die richtige Reihenfolge. Ganz schön schwer- nicht wahr? Typische Reaktion: âWoher soll ich das wissen, gefahren bin ich halt!â
Von Stufe zu Stufe kommt man, indem man die einzelnen âLernâeinheiten verdichtet und zu zweckmĂ€Ăigen Clustern zusammenfasst. Aus den Elementen âTĂŒr öffnenâ, âReinsetzenâ, âAnschnallenâ, âZĂŒndschlĂŒssel reinsteckenâ etc. wird dann der Cluster âWagen startenâ. Und dann wird irgendwann mal aus âWagen startenâ, âWagen steuernâ, âWagen parkenâ die TĂ€tigkeit âmit dem Auto zur Oma fahrenâ.
Ăbrigens: Verlernen funktioniert auch in den vier Stufen, nur rĂŒckwĂ€rts. Allerdings wird man sich schwer tun, wieder die allererste Stufe zu erreichen, obwohl das manchmal von Vorteil wĂ€re.
Wenn Sie gerade ein Seminar besucht haben, dann bewegen Sie sich wahrscheinlich irgendwo zwischen Lernstufe 2 und 3. Im Klartext: Das neuerworbene Wissen gleicht einem zarten PflĂ€nzlein, das gehegt und gepflegt und ordentlich gegossen werden muss. Und vor allem sollte man das PflĂ€nzchen davor schĂŒtzen, vom Wind zerzaust oder sogar zertreten zu werden. Ein Beispiel: Frau Muster hat ein Seminar ĂŒber Moderationstechnik besucht. Wieder zuhause im Betrieb schlĂ€gt sie in einer Besprechung vor, eine Kartenabfrage zu machen. Antwort vom Chef: âHören Sie doch mit dem Spielkram auf, wir mĂŒssen hier arbeiten!â Preisfrage: Wie wird Frau Muster wohl reagieren? đ
In der Regel wenden wir gerade in Stresssituationen nicht die gerade erlernten Strategien an, sondern die, die uns altbekannt sind. Da wissen wir wenigstens, wie das geht und was dabei herauskommt. Und Stresssituationen gibt es im Betrieb bekanntermaĂen reichlich. Und hinterher heiĂt es dann: âDas TagesgeschĂ€ftâ, âdie lassen mich nichtâ, âdas dauert zu langeâ usw.
…und die Konsequenzen?
Aus dem 4-Stufen-Modell des Lernens lassen sich fĂŒr das Training direkte Konsequenzen ableiten:
Das Gelernte verdichten
Hier geht es vor allem darum, Handlungen einzuĂŒben. Im Seminar geschieht dies z. B. durch Methoden wie Rollenspiel, Simulationen usw. (Im Sport kennen wir das: Da werden fĂŒr das entscheidende Spiel âStandardsituationenâ immer wieder geĂŒbt. Nur im Beruf ist immer gleich âErnstfallâ…)
Beispiel âModeration von Besprechungenâ: Im Seminar werden Moderationsmethoden von den Teilnehmern in Praxissequenzen direkt ausprobiert.
Individualisierung des Lernens
Die Teilnehmer erarbeiten sich den Lernstoff anhand ihrer konkreten Praxisprobleme. Sie planen das Gelernte in ihren Alltag ein. Bei der anschlieĂenden Umsetzung des Geplanten ist oft Beratung und Coaching durch den Trainer hilfreich.
Beispiel âModeration von Besprechungenâ: Die Teilnehmer erstellen ein Drehbuch fĂŒr ihre Besprechungen im Betrieb. Bei der DurchfĂŒhrung ist dann spĂ€ter der Trainer dabei und gibt den Teilnehmern abschlieĂende RĂŒckmeldung.
Das âPflĂ€nzleinâ schĂŒtzen
Damit das Gelernte in der Praxis umgesetzt werden kann, ist es sinnvoll im Alltag Schutzschilder zu installieren. Dies geschieht am besten durch soziale Vernetzung: Die Teilnehmer treffen sich in Lerngruppen zum Erfahrungsaustausch. Dies kann auch zu zweit in Paaren erfolgen. Die Botschaft lautet: Ich bin nicht allein mit meinen Anfangsschwierigkeiten. Die Anderen zwicktÂŽs genauso.
Beispiel âModeration von Besprechungenâ: Zwei Teilnehmer bilden ein Lernpaar und besuchen sich gegenseitig in den Besprechungen um zu unterstĂŒtzen und Feedback zu geben.
Zugegeben: Das 4-Stufen-Modell und die Konsequenzen daraus sind hier stark vereinfachend beschrieben. Deswegen ist es ja auch ein Modell. Dennoch lohnt es sich, dieses Modell im Hinterkopf zu behalten. Mit einem geeigneten Trainingskonzept lĂ€sst so die Wahrscheinlichkeit, auf dem langen Weg vom Wissen zum Handeln ein groĂes StĂŒck weiterzukommen, merklich steigen.
[Dieser Artikel erschien am 4. November 2005 (!) in meinem Blog âInteressante Zeitenâ. GeĂ€ndert hat sich seither viel, die Menschen sind gleich geblieben. ]
1 Antwort
Denken lernt sich so gewià nicht. Wie man Auto fÀhrt, vielleicht schon.
Ich wĂŒrde mit ProduktivitĂ€t dagegenhalten, nicht so viel trainieren und simulieren.
Nicht: Teilnehmer treffen sich in Lerngruppen zum Erfahrungsaustausch
Sondern: In Gruppen, mit anderen Erfahrungen unmittelbar und direkt machen, die Sache mit den anderen erfahren.
Und dabei die Erfahrugnen auch artikulieren.